1806 – 1882
Auf meinem Lager schlaflos,
ohne Ruh’,
Lieg ich, wenn kaum im ersten
Morgenlichte
Mein Zimmer rings erdämmert dem
Gesichte,
Dann hör’ ich dir, du kleiner
Vogel, zu.
Der erste Strahl der Poesie
bist du!
Mit einem hellen, frohen
Taggedichte
Singst du dir deines Käfigs
Bann zu nichte;
Wach’ auf, mein Herz, daß ich
ein Gleichen thu’!
Beflügle meinen Geist, du ew’ge
Macht,
Daß ich mich schwinge in des
Aethers Räume
Hoch über dieser Erde
Kerkerhaft.
Daß ich von Himmelsseligkeiten
träume,
Getragen von der ew’gen Liebe
Kraft,
Vor mir den Tag und hinter mir
die Nacht.
Ein zartes Sträußchen hast du
mir gegeben
Vom Veilchenstrauß, der deinen
Busen schmückte,
Der kindlich schmeichelnd an
dein Herz sich drückte
Und still belauschte deines
Athems Weben.
Nun gab sein Duft mir ein
geheimes Leben,
Das tief mein armes, müdes Herz
erquickte,
In eine bess’re Welt ihn zu
erheben.
Nachts ist dein Sträußchen
neben mir gestanden
Und Veilchenduft durchwehte
meine Träume
Von ew’gem Lenz, frei von des
Winters Banden.
Selig beschwingt durchflog ich
Himmelsräume
Und heil’ge Engel waren mir
Genossen - -
Hätt’ ich mein Aug’ auf immer
doch geschlossen!
Noch glüh’n die Wolken, wo die
Sonne sank,
Die letzten Abendglocken sind
verklungen
Und tiefer sinken schon die
Dämmerungen,
Die Amsel flötet ihren
Nachtgesang.
Auf meinen späten, stillen
Abendgang
Hat mich ein Geist des Friedens
tief durchdrungen
Und jeden eitlen Wunsch in
Schlaf gesungen,
Zum Himmel auf steigt nur Gebet
und Dank.
Durch alle Welten geht ein
heilig Schweigen,
Das Unaussprechliche steht sichtbar
da
Und Gottgewißheit wird der
Seele eigen.
Die ew’ge Liebe hält mich sanft
umfangen
Und alles Habe ist mir innig
nah’,
Nichts will mein Herz hienieden
noch verlangen.
Wie in kranker Muschel
eingeschlossen
Reift der Perle
Irisfarbenschein,
So aus meiner bittern
Herzenspein
Zarte Lieder tiefgeheim
entsprossen.
Wie aus goldnen Fäden
unverdrossen
Webt die Raupe ihren
Leichenschrein,
So in meines Herzens Kämmerlein
Ruht mein Leid, von Liedern
sanft umschlossen.
Wie der Diamant im dunkeln
Schacht,
Wächst aus meiner Qualen tiefer
Nacht
Der Entsagung Kleinod mir im
Herzen.
Wie der Phönix rein aus
Feuersgluthen,
Aufersteht mein Geist aus
Thränenfluten –
Seid gesegnet, schöpferische
Schmerzen!